Sopranistin Rachel Harnisch

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Interview

Rachel Harnisch - Klassik-Business, MeToo und eine Hassliebe

«Konzerte verlangen mir viel»

Rachel Harnisch gehört zu den ganz grossen Namen der Klassik. Sie steht weltweit auf den bedeutendsten Bühnen und arbeitet mit den einflussreichsten Dirigenten. Die Ausnahmesängerin gibt im folgenden Gespräch sehr persönliche Einblicke:

Rachel Harnisch, Sie treten am 7. September 2019 am Zermatt Festival auf. Der Titel des Konzerts lautet «Das himmlische Leben». Was erwartet die Besucher?
«An diesem Abend wird die Sinfonie Nr. 4 in G-Dur von Gustav Mahler für Sopran und Orchester in einer Kammermusikfassung gegeben. Diese Sinfonie begleitet mich wie ein roter Faden durch meine Karriere. Ich singe das Sopransolo im 4. Satz. Mahler komponierte die Sinfonie aus dem letzten Satz heraus. Im vertonten Gedicht von Brentano geht es um die Verbindung zwischen dem Irdischen und dem Transzendenten, dem Himmel. Beschrieben ist diese Vorstellungaus der Sicht eines Kindes.»

Sie verwöhnen das Oberwalliser Festival-Publikum. Dieses Jahrtraten Sie schon am Rhonefestival für Liedkunst und am Musikdorf Ernen auf und jetzt darf man sich noch auf Ihren Auftritt am Zermatt Festival freuen. Was bedeuten Ihnen diese Gastspiele im Wallis?
«Für mich sind Auftritte in der Heimat immer speziell. Ich komme zurück ins Wallis und sehe mich auch als das kleine elfjährige Mädchen, das ich einmal war, das hier zur Schule ging und das in einer Familie eingebettet war. Meine eigene Geschichte ist mir hier sehr bewusst, und das macht es für mich schwieriger.»

Warum das?
«Ich muss immer unterscheiden zwischen dem, was ich hier einmal war, und dem, was ich geworden bin. Wenn ich in Mailand singe, ist die Distanz zwischen diesen Polen viel grösser als im Wallis. Nun ist es so, dass ich hier nicht nur Schönes erlebte. Das alles bei einem Konzert auszublenden, verlangt von mir mehr emotionale Arbeit. Wenn ich im Publikum viele Leute erkenne, mit denen ich eine gemeinsame Geschichte teile, kann das störend sein. Andererseits spielt es keine Rolle, wo man singt. Man muss sich überall mit der Stimme und mit der Tageskonstitution auseinandersetzen, sich auf die Mitstreiter auf der Bühne einlassen und den gegebenen Bedingungen anpassen. Im Wallis ist der Weg zur Konzentration einfach weiter.»

Im Publikum ist regelmässig Ihre Mutter zu sehen.
«Sie wird dieses Jahr 90 und sie kommt immer noch fleissig an meine Konzerte. Mit zunehmendem Alter werden für sie einige Reisen zu anstrengend. Aber wo sie kann, ist sie dabei, und das freut mich sehr.»

«Die MeToo-Bewegung wird langsam ein bisschen langweilig, Rachel Harnisch, Sopranistin

Das Rhonefestival für Liedkunstlegte dieses Jahr seinen Schwerpunkt auf Werke von Komponistinnen. Wenn man sich mit dem Leben von Clara Schumann, Alma Mahler oder Fanny Mendelssohnbeschäftigt, stellt man fest, dass sie es sehr viel schwerer hatten als ihre männlichen Kollegen. Gibt es in der Klassik-Welt noch immer Benachteiligungen, mit denen Frauen zu kämpfen haben?
«Die Stellung der Frau in der Gesellschaft und auch in der Musikwelt hat sich stark gewandelt. Ich habe nie eine Benachteiligung erfahren. Es gibt aber sicher Frauen, die eine andere Antwort auf diese Frage gäben. In der MeToo-Bewegung, die langsam ein bisschen langweilig oder lästig wird, gibt es sicher Frauen, die sich benachteiligt gefühlt haben oder sich ausgenutzt vorgekommen sind. Ich habe aber nie so etwas erlebt. Sogar als Dirigentin hat man heute alle Möglichkeiten, wenn man wirklich gut ist. Ich würde sagen, die Welt hat einen grossen Schritt gemacht. Selbst die Wiener Philharmoniker sind nicht mehr eine reine Männergesellschaft und haben verstanden, dass man keine Restriktionen wegen des Geschlechts mehr machen sollte. Aber vielleicht zeigt sich das Problem nicht in allen Ländern gleichermassen.»

Die Klassik-Welt wurde schon öfters als Haifischbecken bezeichnet. Wie schafft man es, sich darin über Jahre unbeschadet zu bewegen?
«Ob ich das unbeschadet überstanden habe, weiss ich nicht. Ich war noch Studentin, als ich an der Wiener Staatsoper engagiert wurde. Als junger Mensch hat man so seine Vorstellungen, wie das ablaufen sollte. Doch dann wird man mit der Realität konfrontiert. Ich habe das überlebt. Unbeschadet vielleicht nicht. Aber ich konnte mich immer wieder aufrappeln und meinen Weg weitergehen.»

Wie haben Sie das geschafft?
«Es ist extrem wichtig, dass man die Konzentration auf sich selbst nicht verliert. Man muss in der Lage sein, alle Oberflächlichkeiten auszuschalten und zu erkennen, was wichtig ist und was nicht. Es passiert sehr vieles ausserhalb des Bühnenkosmos. Es gibt Dinge, die sind wichtig für eine gute Produktion, aber dann gibt es diese Dinge, die störenddazukommen. Die muss man ausblenden und sich auf das fokussieren können, was man kann und will. Das ist ein langer Prozess. Direkt nach dem Studium ist man nicht in der Lage, das alles zu überblicken und zu durchschauen. Deshalb strauchelt man, steht wieder auf, macht weiter und lernt dabei. Das ist der Weg, den man gehen muss.»

Was erlebten Sie als störend?
«Die berühmte Eifersucht habe ich unter den Sängerinnen und Sängern weniger gespürt, als sie vielleicht unter Musikern verbreitet ist. Der Druck kommt eher von ausserhalb, vom Business. Die Klassik-Welt ist ein komplexes Business. Es gibt Agenturen, die einander bekämpfen, Intendanten, die nichts von Sängern verstehen, Regisseure und auch Dirigenten, die keine Ahnung von Stimme haben und ihre Schäfchen in eine Produktion hieven wollen, und andere Schwierigkeiten. Das alles erkennt man erst nach und nach. Zuerst ist man ziemlich geschockt. Aber dann erkennt man, dass es trotz all dem ein schöner Beruf ist. Es ist ein Privileg, wenn man singen darf. Aber man muss lernen, bei sich zu bleiben. Wie man das alles übersteht, kommt darauf an, was man für einen seelischen Boden hat. Ob man auf ein Umfeld zählen kann, das einem hilft. Was man qualitativ zu bieten hat, hilft, sich durchzusetzen, aber es braucht darüber hinaus eine starke seelische Konstitution.»

Durch Sängerinnen wie Sie bekommt das Lied neue Beachtung. Unvergessen Ihr Auftritt im Rittersaal, wo Sie einen weiten Bogen von Crumb bis zum Gantertal spannten. Was fasziniert Sie am Lied?
«Das Lied ist ein ganz kleiner Kosmos voll geballter Emotion. Jedes Lied ist ein Drama oder eine Oper in sich und umfasst die ganze Palette an Gefühlen. Man muss jede dieser Stimmfarben in kurzer Zeit abrufen können. Das ist faszinierend. Bei grossen Opernproduktionengeht man viele Kompromisse ein. Beim Lied hingegen kann ich ganz nah an meiner künstlerischen Aussage bleiben und diese vermitteln. Mit meinem langjährigen Pianisten Jan Philip Schulzeverstehe ich mich blind. Das Lied kennt wenig Eitelkeiten, die die Oper manchmal mit sich bringt. Es ist unprätentiös. Man nimmt sich als Sängerin zurück und stellt sich in den Dienst des Dichters und des Komponisten. Auf der Opernbühne geht es oft viel mehr darum, wie laut ich bin, wie toll meine Koloraturen sind oder wie grossartig ich mich in eine Figur hineinleben kann. Wenn das alles nicht mehr wichtig ist, beginne ich, mich wohlzufühlen. Das entspricht mir. Ich mag mich nicht für die Oberflächlichkeit des Berufs prostituieren.»

«Ich mag mich nicht für die Oberflächlichkeit des Berufsprostituieren

Ihr Repertoire ist von einer enormen Breite. Ihnen gelangen kürzlich grossartige Rollendebüts als Rachel in «Halévys La Juive, als Emilia Marty in Janáceks «Vec Makropolus» und im Herbst 2017 in einer anspruchsvollen Dreifachrolle in Aribert Reimanns Uraufführung «L’Invisible» an der Deutschen Oper Berlin. Damit machten Sie sich einen grossen Namen als Sängerin zeitgenössischer Opern. Wie fanden Sie Zugang zu dieser neuen Musik?
«Das begann schon mit Claudio Abbado, als ich in New York als 25-Jährige in der Carnegie Hall die Prometheus-Suite von Luigi Nono gesungen hatte. Jeder Künstler sollte sich mit der Musik seiner Zeitbeschäftigen. Musik ist ein Spiegel der Welt. Ich finde es spannend zu erforschen, wie die Welt klingt, in der wir leben. Künstler waren doch seit jeher mit der Gesellschaft und dem Gefühl der Zeit verbunden. Einige Opern Mozarts oder anderer Komponisten waren für die Leute der entsprechenden Zeit ungewohnt, neu und wurden zum Teil vehement abgelehnt. Die Kunst entwickelt sich aber nur, wenn Grenzen überschritten werden. Ich finde es wichtig, dass man sich nicht in bekannten Gefilden ausruht oder sich auf bequemen Inseln festsetzt. Ich war immer bereit, mich auf Neues einzulassen. Ich werde aber auch in Zukunft nicht nur Zeitgenössisches singen. Ich brauche die Abwechslung, damit ich gefordert bleibe.»

Zeitgenössische Musik wird oftmals als unzugänglich und kopflastig dargestellt. Wie können sich Musikinteressierte trotzdem mit dieser Musik vertraut machen?
«Man kann niemanden dazu zwingen. Wenn jemand mit einer negativen Haltung zu einem Konzert geht und sich etwas anhört, ist eh schon alles verloren. Als Zuhörer sollte man sich darauf einlassen und sich sagen: ‹Jetzt erlebe ich etwas Neues. › Man kann sich dieser Musik nähern wie einem Berg, den man noch nie bestiegen hat. Wie auf einer Bergtour kann man sich fragen: ‹Schaffe ich das? Schaffe ich das nicht?› In Antwerpen sang ich diesen Frühling die Uraufführung Hèctor Parras ‹Les Bienveillantes›. Es ist eine Oper zum Holocaust-Thema. Für manche war das zuviel und sie verliessen in der Pause den Saal. Dafür muss man Verständnis haben. Aber diejenigen, die blieben, gaben uns am Schluss jeder Vorstellung Standing Ovations. Die Musik und die Geschichte machte etwas mit ihnen. Sie haben sich darauf eingelassen und wurden belohnt. Dafür müssen sich Menschen öffnen. Sonst geht das nicht. Zeitgenössische Musik muss man nicht verstehen, aber man darf sein Herz und seine Seele öffnen, dann kann man etwas mitnehmen.»

Sie blicken auf eine grossartige Karriere zurück. Sie gastierten an den führenden Häusern der Welt, sangen unter Dirigentenwie ClaudioAbbado, Antonio Pappano, Eliahu Inbal, Tomas Netopil, Roberto Abbado, ArminJordan, Christian Zacharias und weiteren mehr. Lässt sich eine solche Karriere planen?
«Nein. Ganz klar nein. Dazu braucht es das nötige Rüstzeug, um überhaupt auf hohem Niveau singen zu können. Ein Talent, eine Stimme. Doch das macht nur 50 Prozent des Erfolgs aus. Man kann eine noch so tolle Stimme haben; wenn man nicht in der Lage ist, das Leben auf der Bühne mental zu bewältigen, wird der Weg anders verlaufen. Ich kenne viele Kollegen, die ähnliche Voraussetzungen hatten wie ich und irgendwo unterwegs gestrandet sind, weil sie dem Beruf emotional nicht gewachsen waren. Seine Leistung jederzeit abrufen zu können und alles andere auszublenden, ist nichtjedem gegeben. Das kann man auch nicht lernen. Es kann auch sein, dass man vom Leben gebeutelt und von Schicksalsschlägen geplagt wird. Wie man damit umgeht, hat mit dem Menschsein zu tun und nicht mit dem Talent. Vielleicht braucht es noch ein Quäntchen Glück: Verlässliche Menschen, eine vertrauenswürdige Agentur, dann ist eine stete Weiterentwicklung möglich.»

Ist es heute schwieriger, eine klassische Karriere aufzubauen?
«Es ist schwieriger geworden, weil so vieles sichtbar wird. Früher spielten sich Karrieren in einem kleineren Radius ab. Man kannte nicht so viele Sängerinnen und Sänger. Heute ist die Welt offen und es kann jeder überallhin gehen. Die Spreu vom Weizen zu trennen, ist dadurch noch viel schwieriger geworden. Zudem werden andere Dinge immer wichtiger. Wenn ich sehe, welche Leute Karriere gemacht haben, staune ich manchmal. Das Visuelle ist übermässig wichtig geworden. Die Vermarktung ist unerlässlich. Karrieren sind dadurch aber auch schneller vorbei. Es gibt wenige Sänger, die sich über Jahre zu halten vermögen. Ich möchte nicht noch einmal 25 sein und anfangen. Manchmal ist es beängstigend zu sehen, welche Dinge eine Rolle spielen, ob man gehört und gesehen wird oder nicht. Ich bin froh, dass ich meinen Weg bereits gefunden habe und ihn weitergehen kann.»

Sängerinnen, die schon sehr jung im Rampenlicht stehen, entwickeln sich in aller Öffentlichkeit. War das für Sie manchmal schwierig?
«In der Klassik ist man eher noch anonym. Die Hemmschwelle liegt da anderswo als zum Beispiel im Pop- oder im Filmbusiness. Ich kann eine Opernaufführung in Berlin singen und dann die Oper verlassen, und es stehen vielleichtzwei bis 20 Leute dort, die noch ein Autogrammmöchten oder ein Selfie machen wollen. Ich versuche mein Privatleben abzuschirmen. Es gibt keine Bilder meiner Kinder auf Facebook oder so. Schwierig bleibt aber, mein Künstlerdasein von meinem privaten Leben zu trennen.»

Worin liegt diese Schwierigkeit?
«Ich habe mit 25 in der Berliner Philharmonie zum ersten Mal mit Claudio Abbado auf der Bühne gestanden. Seine CDs standen im Regal meines Kinderzimmers. Plötzlich stand ich da neben ihm auf dem Podium. Das muss man verarbeiten. Da begann ich zu hadern und ich hatte manchmal zu viel Angst. Ichdachte: ‹Ich kleines Mädchen aus dem Wallis stehe hier mit den Besten und Grössten der Musikwelt. › Ich wurde unsicher und begann zu überlegen: ‹Was denken die Leute über mich? Bin ich schön genug? Bin ich gut genug?› Dieses Gespräch führte ich ständig mit mir. Das kann sehr zerfleischend sein, und ich hatte ziemliche Schwierigkeiten damit. Das warf mich zuweilen aus der Bahn. Aber irgendwann rappelte ich mich wieder auf und dachte: ‹Ja, ich bin gut, ichgehöre da hin und ich muss lernen, damit umzugehen.› Vor jedem Konzert ist man sehr einsam. Rituale helfen mir dann, auf dem Boden zu bleiben, ruhig zu sein und ruhig zu atmen. Dieses Ich auf die Bühne zu bringen, ist ein langer Prozess, mit dem ich heute noch beschäftigt bin. Es ist immer noch schwierig, den ersten Schritt auf die Bühne zu machen. Da stirbt man fast ein wenig, das bleibt so.»

Als Sängerin nutzen Sie das persönlichste Instrument überhaupt – die Stimme. Kehren Sie damit regelmässig Ihr Innerstes nach aussen?
«Die Beziehung zwischen mir und meiner Stimme ist speziell. Ich wurde Sängerin, weil alle anderen sagten: ‹Du bist gut und du musst das machen.› Doch ich muss die Sängerin immer von ganz weitherholen. Wenn ich bei meiner Familie oder bei meinen Freunden bin, ist die Sängerin ganz weit weg. Beginne ich zuarbeiten, freunde ich mich wieder mit der Sängerin an. Ich habe eine Hassliebe zu meiner Stimme. Es ist schön, wenn es mir gelingt, sie an mein Innerstes anzudocken. Das bleibt für mich ein Mysterium. Warum es mir gelingt, Emotionen zu transportieren, kann ich nicht erklären. Aber ich kann es. Es gibt Sänger, die sind immer Sänger. Die können auf Knopfdruck singen. Das konnte ich nie. Für mich ist Singen ein Mittel, michauszudrücken. Aber das hätte irgendetwas sein können, ein Cello oder ein anderes Instrument. Jetzt ist es halt die Stimme, weil ich da eine Begabung habe. Aber sie bleibt für mich nur ein Mittel. Ich bin nicht einzig meine Stimme, aber ich bin auch meine Stimme.»

«Ich bin voll von Selbstzweifeln

Sie werden bei Ihren Auftritten stets umjubelt, kennen Sie dennoch Selbstzweifel?
«Ich bin voll von Selbstzweifeln. Das ist aber auch ein Garant, sich weiterzuentwickeln und sich ständig zu verbessern. Ich bin nie zufrieden. Nie, nie, nie! Ich glaube, so müssen gute Künstler auch sein. Eine Künstlerin, die sich auf ihren Lorbeeren ausruht, bin ich nicht. Mein Lebenslauf auf Papier ist ja ganz schön, aber all das gehört im Moment, in dem es das Publikum liest, bereits der Vergangenheit an. Ich muss mich ständig neu beweisen. Ich muss bei jedem Auftritt mein Bestes geben. Und ich hoffe dann, mein Bestes sei gut genug. Ich bin extrem selbstreflektiert und selbstkritisch, aber dadurch auch sehr diszipliniert.»

Was für Musik hören Sie, wenn Sie nicht arbeiten?
«Fast gar keine! Mein Mann sagt immer, es sei ein Jammer, wie wenig Musik bei uns laufe. Ich brauche zu Hause einfach meine Ruhe. Ich bin so oft mit Musik beschäftigt. Es gibt immer Musik in meinem Kopf, und irgendwann brauche ich dann Stille. Ich höre zu Hause sehr selten klassische Musik. Ich höre vielleicht Aufnahmen, die ich zugeschickt bekomme, oder ich höre gewisse Aufnahmen, wenn ich etwas Neues lerne oder eine Referenz zu einem Werk brauche. Beim Autofahren ist das anders. Ich bin ein Jazz-Fan, obwohl ich noch zu wenig darüber weiss. Aber ansonsten höre ich Rock, Pop, Mainstream, Mundartsongs, Sina, Folklore aus anderen Ländern oder die Märchen-CDs meiner Töchter – alles querbeet.»

Sie sind Mutter zweier Töchter im Alter von vier und fünf Jahren. Wie sieht die musikalische «Früherziehung bei Ihnen zu Hause aus?
«Ich denke, normal, wie in allen anderen Haushalten auch. Wenn eine meiner Töchter sagen würde, sie möchte jetzt Geige oder Klavier spielen, würden wir das unterstützen. Aber sie sind da frei. Ich selber musste Klavier spielen. Das hat mich aber nie interessiert. Ich fand immer eine Ausrede, um nicht in die Klavierstunde zu gehen. Es war einfach nicht mein Instrument. Ich bin der Meinung, dass sich ein Talent durchsetzt. Egal, ob man das jetzt noch zusätzlich fördert oder nicht. Aber meine Kinder sind natürlich mit dem Leben einer Künstlerin konfrontiert. Sie erleben, dass ich manchmal über Wochen nicht da bin. Sie kennen das Leben hinter der Bühne, in Hotels oder grossen Städten. Auch wenn sie ihr Mami manchmal vermissen, erhalten sie doch bereichernde Einblicke in diese Welt. Ihr Weg zur Musiksoll spielerisch bleiben. Manchmal hämmern sie auf dem Klavier herum. Es gibt keinen Zwang. Ich sehe, wie schwierig das Künstlerleben ist. Wenn man nicht superbegabt ist, dann wird es noch schwieriger. Ich hoffe, dass sie einen einfacheren Weg wählen.»

Moderne Mütter haben es nicht leicht. Kind und Karriere untereinen Hut zu bringen, ist sicher nicht immer einfach. Haben Sie einen Weg gefunden, wie man beidem gerecht wird?
«Als ich das erste Mal schwanger wurde, dachte ich: ‹Wie soll das gehen?› Ich lernte mit der Zeit. Aber es bleibt eine logistische Höchstleistung. Ich habe einen tollen Mann und ein perfekt funktionierendes Umfeld. Sie alle unterstützen mich sehr. Zudem musste ich Vertrauen gewinnen in die Fremdbetreuung im Hort, in Kitas oder dieSchule. Lange Abwesenheit bleibt indes eine emotionale Zerreissprobe. Darum versuche ich so oft wie möglich, für meine Kinder da zu sein.»

«Wer im Künstlerseineinen Lebenssinnsucht, kann nur scheitern

Wie erleben Sie den Wechsel, wenn Sie auf der Bühne die kapriziöse Diva geben und zu Hause die geerdete Mutter gefragt ist?
«Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Erdung durch meine Kinder habe. Früher habe ich darunter gelitten, dass mir diese Verbindung zum echten Leben fehlte. Auf der Bühne ist man immer in einer künstlichen Situation. Das hat mit Normalität nichts zu tun. Tausend Emotionen, die man vielleicht sonst übers Jahr hätte, erlebt man dort geballt in eineinhalb Stunden. Früher sang ich, trank noch etwas mit Kollegen und ging dann ins Hotel. Dort war ich allein. Jetztkehre ich zu meiner Familie zurück. Das ist so wohltuend. Das hat mich geerdet und gerettet. Ich weiss jetzt, dass sich das wahre Leben hier abspielt. Darauf kommt es an. Meinen Kindern ist es egal, wie ich gesungen habe. Die Aufführung ist wie ein Rausch. Doch der hört mit dem letzten Ton auf. Schon der Applaus ist etwas Künstliches. Mein Hauptjob ist Mutter und Partnerin zu sein. Das ist das Wichtigste. Ich habe einen Grund, auf dieser Welt zu sein. Wer im Künstlersein einen Lebenssinn sucht, kann meines Erachtens nur scheitern. Das allein kann einen nichtglücklich machen.»

Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?
«Dass es so bleibt, wie es ist. Ich möchte noch ein paar schöne Rollen singen. In dem Beruf weiss man nie, wie es weitergeht. Ich hoffe, dass es meiner Familie gut geht und meine Mädchen ein erfülltes Leben haben werden. Für sie wünsche ich mir, dass sie weniger straucheln müssen als ich und dass ihre Wege ein bisschen gradliniger verlaufen werden als meiner.»

Interview: Nathalie Benelli